Prof. em. Dr. Wolfgang Bartuschat

Foto: Bartuschat Uni Hamburg
Verstorben am 10. August 2022
Anschrift
Wolfgang Bartuschat – Ein Nachruf
Am 10. August 2022 verstarb unser hochgeschätzter Kollege Wolfgang Bartuschat im Alter von 84 Jahren. Er war von 1977 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2002 Professor für Philosophie an der Universität Hamburg, wo er Geschichte der Philosophie der Neuzeit (von Descartes bis Hegel) lehrte, mit Forschungsschwerpunkten zu Spinoza und Kant.
Wolfgang Bartuschat, am 13. Mai 1938 in Königsberg geboren, im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie nach Sachsen geflüchtet, lebte seit 1952 in Düsseldorf, wo er 1958 das Abitur machte. Nach dem Studium der Philosophie, Germanistik und Soziologie (1958-1963) – in Hamburg (bei Carl Friedrich von Weizsäcker und Hans Blumenberg), Heidelberg (bei Hans-Georg Gadamer), Wien, Bonn (bei Richard Alewyn) und Berlin (bei Dieter Henrich) promovierte Bartuschat 1964 bei Gadamer mit der Arbeit Nietzsche. Selbstsein und Negativität. Zur Problematik einer Philosophie des sich selbst vollendenden Willens. 1970 wechselte Bartuschat als neuer wissenschaftlicher Assistent von Reiner Wiehl aus Heidelberg nach Hamburg und habilitierte sich hier 1971 mit der Schrift Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, die 1972 bei Klostermann veröffentlicht wurde. 1977 wurde er hier zum Professor befördert.
In seinem großen Kant-Buch, das bis heute als ein Standardwerk gelten darf, geht es um den systematischen Rang und den methodischen Sonderstatus, der in Kants Kritik der Vernunft der dritten Kritik zukommt. Das Thema, das Wolfgang Bartuschat hier als das grundlegende Problem der Vernunftkritik ausweist, ist die Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem. Die Urteilskraft ist das Vermögen des sinnlich-vernünftigen Subjekts, das überall dafür zuständig ist, das Allgemeine des Begriffs und das Einzelne der sinnlichen Vorstellung, das erst in dieser Relation zum Besonderen wird, miteinander zu verknüpfen. Bartuschat verfolgt diese epistemische Grundstruktur in ihren Ausprägungen durch die drei Kritiken: In der Erkenntnis des Verstandes und in der gesetzmäßigen Willensbestimmung der praktischen Vernunft ist es bestimmende Urteilskraft als Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine – der einzelnen Anschauung unter den Begriff, der einzelnen Handlung unter den praktischen Grundsatz. Im ästhetischen Urteil hingegen ist es reflektierende Urteilskraft: Ausgehend vom Besonderen wird – wie Kant exemplarisch an der ästhetischen Reflexion analysiert – nach passenden Begriffen noch gesucht, und dass in der Reflexionsbewegung dieser Suche, im „freien Spiel der Erkenntniskräfte“, ein Gefühl der Lust aufkommt, macht eine Zusammenstimmung von Verstand und Sinnlichkeit kenntlich, an der erfahrbar wird, dass das Allgemeine und das Besondere der Vermittlung fähig sind. In der Erkenntnis und in der Willensbestimmung, im Modus der Subsumtion oder der Ableitung, stehen Allgemeines und Besonderes, Vernunft und Sinnlichkeit in einem Verhältnis unaufgelöster Spannung; in der Analyse der ästhetischen Reflexion als einer korresponsiven Entspanntheit findet sich Kant auch zu dem spekulativen Gedanken ermutigt, der für sein systematisches Unternehmen einen Unterschied ums Ganze macht: dass die Vernunft nicht als Fremdkörper in der Welt stehen muss.
Auch nach seiner Habilitationsschrift entstanden in den 80er und 90er Jahren noch profunde Beiträge zur Kantforschung. Doch widmete sich Bartuschat vermehrt der Erforschung Spinozas; er begab sich damit auf eine intellektuelle Reise, die bis zu seinem Lebensende anhalten und die deutsche Philosophiegeschichte in mindestens drei Hinsichten nachhaltig prägen sollte: inhaltlich, philologisch und institutionell.
In inhaltlicher Hinsicht hat Bartuschat die deutsche Spinoza-Forschung erheblich vorangetrieben: In zahlreichen Aufsätzen (deren wichtigste in dem 2017 bei Meiner erschienenen Band Spinozas Philosophie: über den Zusammenhang von Metaphysik und Ethik zusammengetragen wurden) und in seinem spinozistischen opus magnum – der 1992 bei Meiner erschienenen Monographie Spinozas Theorie des Menschen – dafür argumentiert, dass man Spinozas monumentales und teilweise furchteinflößendes metaphysisches System vor dem Hintergrund dessen verstehen sollte, dass es die Grundlage für eine Ethik für uns Menschen etabliert. Entsprechend war es ihm in seinen Arbeiten zu Spinoza stets ein Anliegen zu zeigen, dass sich die verschiedenen Teile von Spinozas Philosophie – ihr theoretischer und praktischer Teil – letztlich in gleichberechtigter Weise gegenseitig beleuchten.
Daneben war Bartuschat als Herausgeber und Übersetzer von Spinozas philosophischem Werk tätig, das er seit 1993 sukzessive neu herausgegeben, ins Deutsche übertragen und kommentiert hat. Damit können wir heute auf eine deutsche Werkausgabe von Spinoza zurückgreifen, die nicht nur modern und akkurat, sondern auch hochgradig philosophisch informiert ist.
Spätestens seit Bartuschat 1992 mit seiner Hamburger Kollegin Dorothea Frede die Redaktion der Zeitschrift Archiv für Geschichte der Philosophie übernahm, hat er auch für die Erforschung der Geschichte der Philosophie eine wichtige institutionelle Rolle übernommen. Bis ins Jahr 2010 hat er mit dazu beigetragen, dass das Archiv zu einer der angesehensten Zeitschriften für die Geschichte der Philosophie geworden ist.
Die letzten zehn Jahre seines produktiven Lebens waren von schwerer Krankheit gezeichnet, die ihn zuletzt ans Haus fesselte. Am 24. August 2022 wurde Wolfgang Bartuschat auf dem Ohlsdorfer Friedhof beerdigt. Die internationale Forschergemeinde beklagt den Verlust eines großen Gelehrten. Die Kolleginnen und Kollegen im Philosophischen Seminar der Universität Hamburg behalten ihn in lebendiger Erinnerung: als einen tiefgründigen Denker und herzlich zugewandten Menschen, der den Kontingenzen der akademischen Welt stets mit einer guten Portion trockenen Humors gegenüberstand.
Dorothea Frede, Birgit Recki & Stephan Schmid
Curriculum Vitae
Verstorben am 10. August 2022 | |
2002 | Ruhestand |
2001 | Gastprofessor Université Michel de Montaigne Bordeaux |
1994 | Gastprofessor Humboldt-Universität Berlin |
1977 | Professor für Philosophie Universität Hamburg |
1971 | Habilitation in Hamburg mit einer Arbeit über Kants „Kritik der Urteilskraft“ |
1970 | Wiss. Assistent Universität Hamburg |
1966 - 1969 | Habilitationsstipendium der DFG |
1964 - 1970 | Lehrauftrag am Philosophischen Seminar Heidelberg |
1964 | Promotion in Heidelberg bei Gadamer mit einer Arbeit über Nietzsche |
1958 - 1963 |
Studium der Philosophie, Soziologie und Germanistik in Hamburg, |
1958 | Abitur Jacobi-Gymnasium Düsseldorf |
1938 | geb. in Königsberg (Pr) |
Forschungsschwerpunkte
- Geschichte der Philosophie von Descartes bis Hegel
- Spinoza
- Kant
Publikationen
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